III

Es war ein ganz gewöhnlicher Montagmorgen, der sich keineswegs von allen anderen Montagmorgen unterschied (abgesehen von dem Morgen, der noch gewöhnlicher als alle vorherigen montäglichen Morgen gewesen war), und Gnoff ahnte garantiert nicht, dass dieser Montag sich schon sehr bald von allen ihm bekannten Montagen unterscheiden sollte, was vor allem daran lag, dass Gnoff ein ganz gewöhnlicher Durchschnittsmensch und keinesfalls medial oder prophetisch begabt war.
Nun, dieser Morgen wurde schon recht bald anders als all die anderen, auch wenn er ganz gewöhnlich begann.
Gnoff wurde zur gewöhnlichen Zeit von seinem ganz gewöhnlichen Standardwecker geweckt und frühstückte ein ganz gewöhnliches Frühstück. Danach vollbrachte er die ganz gewöhnliche Morgenhygiene und zog sich seinen ganz gewöhnlichen Bürosklavenanzug an.
Zur gewöhnlichen Uhrzeit machte sich Gnoff inmitten der anonymen Masse gewöhnlicher graubeanzügter Bürolskalven auf den Weg zur Arbeit.
Gegen 8:25 passierte er auf dem Weg zur U-Bahn den Zeitungskiosk, löste sich in eine Wolke Waldmeisternebel auf und verwehte.
Niemand bemerkte dieses ungewöhnliche Geschehen an diesem ganz gewöhnlichen Morgen.

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Es war Nacht. Draußen tobte der Sturm. Dem Portier war dies jedoch egal, denn er saß drinnen, nicht draußen. Ganz egal war es ihm jedoch nicht, denn er war ein Sadist.
Der Gedanke, außerhalb des Hochhauses, dessen Eingangshalle er schon seit 28,2558 Jahren vor ungebetenen Eindringlingen beschützte, müßten Leute gegen Regen und Sturm ankämpfen, veranlaßte ihn zu einem glücklichen Grinsen.
Vielleicht, so dachte er im Stillen, vielleicht gäbe es ein paar Schwerverletzte, mit ganz viel Glück sogar einen Toten. Mit Freuden blickte er der morgigen Zeitungslektüre entgegen, während der er sich einen Überblick über die Opfer verschaffen könnte. Am meisten erfüllten ihn Familientragödien mit Glückseligkeit, und spontan erinnerte er sich an seinen Lieblingsstreich: Einer Witwe, deren Gatte von einem Wahnsinnigen mit einem Golfschläger zerteilt worden war und die nun allein für ihren sieben Kinder sorgen mußte, hatte er einen Brief geschrieben: "Sind sie besorgt, wie Sie Ihre Familie ernähren sollen? Jetzt nicht mehr!" Als die entsetzte Frau aus dem Fenster blickte, sah sie gerade noch, wie all ihre Kinder von unbarmherzigen Werbefilmer gefangen und zu Hundefutter für den nächsten Hundefutterwerbespot verarbeitet wurden. Zwar hatte ihn dieser Spaß eine schöne Stange Geld gekostet, aber dafür besaß er jetzt eine Videoaufnahme des ganzen Geschehens.
Diesen Film betrachtete er mindestens einmal täglichen auf dem obligatorischen Fernseher, deren jeder Pförtner mindestens einen besitzt.
Ein Autounfall direkt vor der Eingangstür riß ihn aus seinen Träumereien, doch enttäuscht sank er in seinen bequemen Sessel zurück, als er bemerkte, dass sämtlicher Schaden keine Personen betraf.
Unmittelbar darauf glitt die Pforte nach draußen, wie von Geisterhand bewegt, auseinander, und einen Moment lang war der Portier bereit, an Geister und Magie zu glauben, wenn ihm nicht im letzten Moment eingefallen wäre, dass die Tür ja durch eine Lichtschranke geöffnet wurde. Im selben Augenblick betrat eine düstere Gestalt den Raum.
Sie trug einen dunklen Trenchcoat, einen passenden Hut, und war ein Er. An seinem Mundwinkel klebte eine gelbliche Kaugummizigarette, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Der Mann durchquerte die Halle mit großen Schritten, hinter ihm schlossen sich lautlos die beiden Türhälften, und kurz darauf hatte er die Rezeption erreicht.
"Ich schau dir in den Kaffee, Pförtner."
Unbeeindruckt blickte der Angesprochene seinem Gegenüber ins Gesicht, doch eine dünne Schweißspur, die sich über seine Schläfen hinweg den Weg zum Boden suchte, verriet seine innere Angespanntheit.
"Pförtner, wo finde ich die Gesellschaft für Bog-Art in diesem Haus?"
Passende Phrasen stotternd blätterte der Portier hastig in seiner Büroliste.
"28,2558. Stock, 1. Tür links."
"Richtig, Pförtner."
Noch während der Unbekannte auf den Lift zueilte und kurz darauf die Ruftaste betätigte, nahm der Portier seine Mütze ab und wischte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Ein eiskalter Schrecken durchfuhr ihn, als der Unbekannte sich plötzlich zu ihm umwandte.
>"Hier. Für den Kaffee."
Er schnippte ein Stück gebrauchten Zuckers in des Pförtners Tasse.
Der Kaffee bedankte sich.
Der Pförtner kannte den Witz schon.

Der 28,2558. Stock dieses Gebäudes - ein mystischer Ort. Zu erkennen daran, dass dies das Stockwerk war, in dem der Lift nicht hielt (woran allerdings hauptsächlich das Fehlen des entsprechenden Liftknopfes schuld war), das Stockwerk mit den verspiegelten Fensterscheiben (zufälligerweise waren sämtliche Außenfenster dieses Gebäudes verspiegelt), das Stockwerk der Geiheimgesellschaften.
Tür an Tür waren hier die verschiedensten Konferenzzimmer, Büros, L-bors und Altarkammern zu finden, in denen unzählige Geheimbünde ihren dunklen Geschäften nachgingen. Eine dieser geheimen Organisationen war die Gesellschaft für Bog-Art (engl. f. "Moor-Kunst" (Aufmerksame Leser mögen vielleicht Parallelen zwischen diesem Geheimbund und einem bekannten Schauspieler entdecken. Tatsächlich war besagter Schauspieler ein Agent der Gesellschaft für Bog-Art; durch seine Medien-Präsenz sollte ihre geheimen Lehren in das Bewußtsein der Menschheit übergehen. Das können Sie jetzt glauben oder auch nicht.)), eine unheimliche Geheimgesellschaft.

Genosse Unbekannt, wie auch immer sein WAHRER Name sei, überprüfte mit kundigem Blick das Schloß der Tür. Er griff in seine Tasche, zog seine Brieftasche heraus und öffnete sie. Aus ihrem Inneren entnahm er nach und nach mehrere Kreditkarten, die einzig und allein dem Zweck der Öffnung des Schlosses dieser Tür dienten. Die 666. zeigte Erfolg, und mit einem zufriedenen Grinsen schob er die Tür langsam, leise und levitierend, auf, schob sich in den dahinterliegenden Raum hinein und schloß sie wieder hinter sich.
Dann stürzte er eine ansehnliche Anzahl von Stockwerken in die Tiefe und schlug auf der Straße auf.
Aus dem Schatten der Gänge löste sich leise kichernd eine dunkle Gestalt, bekleidet mit einem dunkelorangen Hut, einem dunkelorangen Trenchcoat und einer dunkelorangen Sonnenbrille mit dunkelschwarzen Gläsern und einem Nachtsichtgerät, damit sie auch im Dunkeln sehen konnte, ohne einen Blindenhund zu Hilfe nehmen zu müssen. Der Dunkelorange Agent, der zusammen mit seinem Arbeitgeber auch die Farbe ins Düsterere transferiert hatte, kicherte zum zweiten Male.
"Ich habe den Boden versteckt, du Versager! Schau immer, was vor dir liegt, oder du könntest übel enden!"
Mit eben diesen Worten zog er aus seiner Manteltasche ein gefaltetes Objekt hervor, ungefähr so groß wie ein Wasserstoffmolekül, trat die Tür auf und breitete den Fußboden im dahinterliegenden Zimmer aus. Doch auch Profis können Fehler machen, denn wie am nächsten Morgen einige Büroangestellte der tieferliegenden Büros bemerken sollten, vergaß der Dunkelorange Agent auch die Böden dieser Etagen zu reinstallieren. Tragisch, doch nun nicht mehr zu ändern (außer mit einer Zeitmaschine, einer Horde Bauern mit Fackeln, einer CD-Hyper-Beschleunigungs-Schleuder oder einem großen Geschenk an DEN Autor, der die Geschicke aller leitet).
Der Dunkelorange Agent blickte sich um. Ein ganz gewöhnliches Büro, so schien es, doch der Anschein trog, wie ihm aus der Vorbesprechung klar war. In diesen Räumlichkeiten, so wußte er genau, verbarg die Gesellschaft für Bog-Art die Dokumente, die erklärten, warum der King seinen Tod gefälscht hatte und von diesem fingierten Tod an auf bunten Giftgaswolken umherritt.
Insider munkelten, es habe etwas mit seiner Affäre mit den Kennedys, oder gar mit geheimen Experimenten der Regierung von Mars-City, oder, so mutmaßten die verwegensten, mit Elvis' Forschungen über den sagenhaften Kontinent Lemuria, in uralten Schriften auch Mu, auf noch älteren Kuhhäuten auch Muh, genannt, zu tun. Der Großvater des Lederfetischisten-Geschichtsprofessors Indiana J. (voller Name dem Autor bekannt) entdeckte diese Unterlagen nach jahrelanger Suche in einer babylonischen Konservendosen, in der sie ein zeitreisender antarktischer Druide vor Äonen versteckt hatte, und starb ob der Freude ob dieser Entdeckung an einem Herzinfarkt. Über verschlungene Geheimpfade konnte die Gesellschaft für Bog-Art sie in ihren Besitz bringen, und nun würde er, der nunmehr Dunkelorange Agent, sie entwenden und den "Agenten ohne Grenzen" überreichen.
Problemlos wand er sich an den Anti-Einbrecher-Such-Lasern vorbei, nachdem er ihre Präsenz durch einige Rauchbomben offenbart hatte, knackte das HiTec- Computersicherheitsschloß des Tresors hinter dem Picasso-Imitat an der Wand, ohne dieses bewegen zu müssen, entnahm die Geheimunterlagen und deponierte seine Visitenkart mit der Aufschrift "Der rosarote Panther" darin (um seine Gegner zu verwirren und mehr Abwechslung in die Handlung zu bringen).
Mit einem Salto- Mozarella schwang er sich aus dem Fenster hinaus auf die Feuerleiter und sah sich, Angesicht zu Frontscheibe, einem Lkw gegenüber, der seine Doppelmaschinengewehre auf ihn richtete.
Kurz bevor diese den Dunkelorangen Agenten inn einen unappetitlichen Haufen biologischer Abfallstoffe umwandeln konnten, schrie dieser: "Lkws können nicht fliegen! Du bist nicht echt!"
Durch diesen Ausruf brach er die Illusion, und der fliegende Wasserelefant gab sich als das, was er war, zu erkennen. Allerdings stellte diese Ereignis keine Verbesserung der Lage des Dunkelorangen Agenten dar, denn fliegende Wasserelefanten-Illusionisten sind noch gefährlicher als ein Atombombe mit künstlicher Intelligenz.
Wutentbrannt erhob der Elefant seine Stimme:
"Känguruhchips, 500-Gramm-Packung, heute nur 2,87! Eine einmalige Gelegenheit, nur so lange der Vorrat reicht! Flamingoschuhe, in rosa und grün, nur 17,38! Konstanten und Variablen in nahezu unbegrenzter Stückzahl, ab 0,32! Schriftsteller von Bedeutung, in Dosen und gefroren, ab 15,23! Bergsteigeraufklebebildchen, nur 1,44! Besuchen Sie auch unsere Theologieabteilung, dort finden sie ein großes Sortiment an Pilgerern, Priestern und Folterinstrumenten! Inquisitionen noch eine Woche im Sonderangebot, bis zu 280% reduziert! In unserer Militariabteilung ist eine neue Lieferung an taktischen Nukelarwaffen eingetroffen, greifen Sie zu, bevor es ihr Nachbar tut! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie! Kaufen Sie!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"
"2,87 was?"
"2,87 verlorene Seelen, natürlich!"
"Das ist gut."
Und so machte der Dunkelorange Agent einige sehr eindrucksvolle Schnäppchen im extradimensionalen Elefanteneinkaufszentrum. Oh ja, er gab massig verlorene Seelen aus, fast all seine Ersparnisse, doch er sparte dadurch sehr viel. Da im Schnitt alles um 60% reduziert war, zahlte er nur 40% des Preises und machte also 20% Gewinn. Oder so.

Es klingelte.
Die Frau öffnete. Vor der Tür stand der Papst.
"Schwester! Ich bin nicht der echte Papst, ich bin nur ein Popelike- Androide, doch ich verkaufe die Original Katholizismusstaubsauger. Mein Segen auf Dich, wenn ich einen vorführen darf!"
"Aber natürlich, Hochwürden. Herein mit Euch."
Der Popelike-Androide(™) trat ein und kippte eine Großpackung Staub auf den Perserteppich. Dann wedelte er darüber mit einem kruzifixförmigen Staubsauger herum. Er deutete auf die Aufschrift "Staub" auf dem Staubbeutel und sprach:
"Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub..."
Nichts geschah.
"Staub zu Staub!"
Wiederum nichts.
"STAUB ZU STAUB!!!"
"Entschuldigen Sie bitte", meinte der Staub. "Ich bin Atheist und sehe nicht ein, warum ich auf Sie reagieren sollte. Außerdem kann ich den Papst gar nicht leiden."
"Und das wird doch bei Begräbnissen gesagt; ich will aber noch gar nicht sterben!", warf Staub- ein- Stück- weiter- links ein.
Da war der Fastpapst wütend, rief die Inquisition und ließ die Stäube foltern. Als auch das sie nicht vom tollen Katholizismusstaubsauger überzeugen konnte, ließ er sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Deshalb sind Stäube von da an überzeugte Antikatholiken, und deshalb läßt eine gewisse Frau keine Staubsaugervertreter an ihren Perserteppich.

Welch bezaubernde Anekdote. Ist sie wahr? Oder vielleicht erfunden? Oder beides zugleich? Egal. Sie wurde nur aus einem einz'gen Grunde hier erwähnt, zu überbrücken die Reise des Agenten in Dunkelorange zum toten Briefkasten.

Es knirschte. Erschrocken zog der Dunkelorange Agent seinen Fuß zurück. "Verdammt! Schon wieder auf die Knochen getreten."

Für Uneingeweihte ist hier eine Erläuterung notwendig: Kenner des Agentenmilieus verstehen unter einem toten Briefkasten einen Geheimbriefkasten, der nicht von der offiziellen Post geleert wird; Erleuchtete jedoch wissen: Man meint keinen toten Briefkasten, sondern einen Totenbriefkasten, also einen Briefkasten, der in Toten zu finden ist. Den meisten wird sich hier die Frage stellen: Wozu das ganze? Warum die Leichen? Um so einfacher die Antwort darauf: Durch den rechtzeitigen Einbau des Briefkastens in die Leiche wird die Seele des Verstorbenen am Übergang in die Nachwelt gehindert und muß bis zur Zerstörung eben jenes Briefkastens als kostenloser Briefträger dienen. Vielleicht aber auch nur, um das veraltete Design etwas flotter zu machen.
Doch durch die Wunder der modernen Telekommunikation wurde diese Methode überflüssig, seit einigen Jahren benutzt man tote Faxgeräte oder, ganz modern, tote E-mail- Adressen. Doch der Dunkelorange Agent hatte wenigstens noch Stil, an einen Schädel befestigt schleuderte er die Akten mit Mithilfe seiner Schädelbeschleunigeranlage in das inoffizielle Hauptquartier der Cyber-Druiden, also der Gesellschaft, für die er seine Spionagetouren veranstaltete.

Währenddessen, irgendwo unter der Erde:
Der- Böse- der- hinter- allem- steckt rollte genüßlich auf und ab. Einen Moment lang erwog er, die fette weiße Katze zu streicheln, doch er erinnerte sich noch zu gut an seinen letzten Versuch. Nun, alles verlief planmäßig. Nach seinen Plänen, wohlgemerkt.
Nur noch wenige Stunden, und dann, dann würde er nicht mehr zu schlagen sein. Endgültig gewonnen! Vorbei alle Ängste vor einer Niederlage, sogar seine kühnsten Träume erfüllt!
Doch in diesem Moment blickte er wie erstarrt auf den Monitor seiner zentralen Computeranlage. Unmöglich! Das durfte nicht wahr sein! Unfaßbar! Er war besiegt. Besiegt von einem lächerlichen Gegner. Nach all den Tagen der mühevollen Vorbereitungen, des sorgfältigen Planens und der liebevollen Ausführung hatte ein Ork in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit all seine Hoffnungen vernichtet. Nachdem er sich beruhigt hatte erwog er kurz, das Spiel noch einmal zu starten, verwarf den Plan dann aber doch wieder.
Dieses Ergebnis würde sich nie wieder wiederholen lassen.
Während er sich noch Gedanken über dieses äußerst unfaire Computerspiel machte, sprengte der Dunkelorange Agent ihn mitsamt seines unterirdischen Komplexes unter Verwendung eines thermonuklearen Sprengsatzes in viele kleine Molekülchen auseinander.

Der Dunkelorange Agent sprengte noch viele andere Leute. Er machte eine lustige Sprengparty und vernichtete ganze Geheimkonzerne (die mystischen Mahhggies, den Binden-Bund und viele weiter).
Mit vier Worten: Es gab massig Action.
Doch das kann uns egal sein, denn in diesem Moment kehrte die ursprüngliche Haupthandlung zurück...

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"Wer sind denn Sie?" fragte der Wirt.
"Ich bin die neue Haupthandlung, und das da draußen sind meyne Dialoge!"
"Raus!"
"Nun gut, das war eyn Scherz! Ich bin, bey aller Bescheydenheyt, der Ritter der Heyligen Nagelschere, und das da draußen ist meyn treues Roß, Iwan!"
"Nicht eher der Ritter des schlechten Geschmacks und das da draußen ist Ihr Fußabtreter?"
"Weshalb erdreystet Ihr Euch zu so eyner Unverschämtheyt?!"
"Oder der der rosa Ritter mit dem giftgasgrünen Helm und dem Pferd, das von einem Wahnsinnigen Glazgnoghuhn aus Stoffresten und auf ein Faß geschmierten Sekundenkleber geschaffen wurde?"
"Ich trage eyne Desygnerrüstung, und meyn Pferd habe ich nur noch nicht gestriegelt!"
"Anscheinend seit 28,2558 Jahren nicht."
"Eyne Unverschämtheyt!!" "Warum verwenden Sie eigentlich in jedem Satz mindestens ein Ausrufezeichen? Ist das bei Rittern von heiligen Fußpflegehilfen so üblich, oder liegt das einfach an Ihrer wiederlichen Rüstung und dem Fusselpferd? Und das alberne ey, was ist damit?"
"Das muß ich mir nicht länger anhören!"
"Wenn Sie mir weiter im Licht stehen wird sich das schwer verhindern lassen..."
"Ich fordere Euch zum Duell! Wählt Eure Waffe, ich wähle den Zeytpunkt und den Ort: In 28,2558 Minuten, vor Eurer Wirtschaft!"

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Entsetzt blickte der Ritter der Heiligen Nagelschere seinen Kontrahenten an.
"Das sind doch keyne Waffen!"
"Doch. Die können richtig schlimm wehtun."
"Wollt ihr wirklich, dass wir uns mit ... Ameysenknochen ... duellieren?!?"
(Er legte soviel Verachtung wie nur möglich in das Wort Ameisenknochen.)
"Damit kann man ja kaum jemanden treffen!"
"Natürlich nicht, Sie halten ihn ja auch verkehrt herum. Das spitze Ende muß nach vorne, nicht das leuchtende."
"Die Pinzetten sind so unhandlich; würdet ihr nicht doch Schwerter oder ähnliches diesen Knochen vorziehen?!"
"Das sind magische Ameisenknochen, uralte Erbstücke. In dieser Gegend hat jede Familie ein Paar Duellameisenknochen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, immer vom Vater zum übergewichtigsten Sohn."
"Oh! Ich habe den Knochen zerbrochen! Tut mir leyd!"
"Du Hund! Elender! Einen meine Erbameisenknochen! Dafür wirst du bezahlen!"
"Könntet Ihr's vielleycht auf die Rechnung setzen?!"
Ameisenknochen- auf- den- Kopf- des- Fragenden- schlagen dürfte ungefähr soviel wie 'nein' bedeuten.
Der Wirt hätte den Ritter der Heiligen Nagelschere bestimmt zu Guffenauflauf, einer einheimischen Spezialität, verarbeitet, wenn Iwan, des Ritters treues Roß, jenen nicht mit Hilfe eines Transporterstrahls aus der Gefahrenzone entfernt hätte.
Es war nicht das erste und garantiert auch nicht das letzte Mal, das Iwan den RdHN auf diese Art befreien mußte, denn der Ritter hatte nie gelernt, sich zu benehmen. Daran war vor allem sein Gor phianischlehrer schuld, ein Exil-Megalopork, der gutes Benehmen für einen Schwarz-weiß-Film aus den Vierzigern hielt. Warum war nicht einmal ihm selbst klar.

So zog der Ritter der Heiligen Nagelschere weiter, denn sein Weg war noch lang, und die Mächte der Finsternis jagten ebenfalls dem Heiligen Kral hinterher.
Am Morgen des nächsten Mittags (Montag, Dienstag, Mittag,...) kam er, begleitet von Iwan dem Fusselpferd, an eine Brücke, die von einem grimmigen Brückenwächter bewacht wurde. Jener hielt in seinen Händen ein Schild fest umklammert, auf welchem zu lesen stand:

Für Ritter heiliger Fußpflegegerätschaften auf der Suche nach dem Heiligen Kral
kein Durchgang

Ich bin NICHT bestechlich
(meistens)

"Seid mir gegrüßt, ehrenwerter Brückenwächter! Ich bin der Ritter der Heyligen Nagelschere, und ich suche den Heyligen Kral!"
"Argh!", schrie Iwan, denn soviel Dummheit muß einfach wehtun.
"Dann", so sprach der Brückenwächter, "dann darfst du nicht passieren."
"Ich will auch gar nicht passieren, ich will nur über die Brücke!"
"Wie auf diesem Schilde geschrieben steht: Es ist dir verwehrt."
"Warum, Herr Brückenwächter?!"
"So will es das Gesetz."
"Wessen Gestz, Herr Brückenwächter?!"
"Das Gesetz des Herren dieser Burg." "Welcher Burg, Herr Brückenwächter?! Ich sehe keyne!"
"Du mußt deine Sichtweise nur im vierdimensionalen Raum drehen, dann kannst du sie klar erkennen.", erklärte Iwan.
"Wahrlich, dein Fusselpferd ist klüger als du." "Oho! Ich erblicke die Burg, deren Herr mir die Brücke durch eyn Gesetz verwehrt! So bleybt mir nur die eyne Lösung: Ich erobere die Burg, erschlage ihren Herren und erkläre das Gesetz für nichtig! Dann kann mich keyn Brückenwächter mehr von dieser Brücke fernhalten!"
"Dies ist wahr. Ritter, dein Verstand ist doch nicht kleiner als dein guter Geschmack."
"So sage er mir noch eynes: Wer, so frage ich, ist der Herr dieser Burg?!"
"Das Killerhuhn von Würgemoor, der Sohn des 28,2559-köpfigen Grabenwurmes."
"28,2559-köpfig?! Wie fortschrittlich!"
So brach der Ritter der Heiligen Nagelschere auf, das Killerhuhn vom Würgemoor zu erschlagen und sich so die ungehinderte Überquerung der Brücke zu erkämpfen.

Und sehet, nur einen Augenblick später erreichte er, auf seinem treuen Roß Iwan reitend, des Killerhuhnes Schloß.
Dunkel ragte seine Wälle über dem stickigen Würgemoor auf, und hätte nicht der Fortbestand der Welt vom Gelingen seiner Mission abgehangen, er hätte Iwan sofort eine Richtungsänderung befohlen (und das, obwohl Iwan schon lange erwachsen war!).
"Öffnet das Tor, oder ich singe!", schrie der Ritter der Heiligen Nagelschere.
"Sing du nur! Wir haben Ohrenschützer!", brüllte ein Goblin von den Zinnen des Wachturmes herab.
"Ich habe euch gewarnt! Ihr habt es mir nicht glauben wollen!"
Und der Ritter der Heiligen Nagelschere begann zu singen:
"Macht hoch die Tür, die Tohor macht weyt,
Es naht der Herr der Heherrlichkeit!"
"Juhu!", schrie der kleine grüne Goblin, "Das ist gar nicht der Ritter der Heiligen Nagelschere. Das ist der Weihnachtsmann!"
"In rosa und giftgasgrün??"
Die anderen Goblins waren noch etwas skeptisch.
"Der geht halt auch mit der Zeit."
Und sie machten hoch die Tür und die Tore weit, und der Ritter der Heiligen Nagelschere gab Iwan die Sporen. Doch dieser konnte sie nicht gebrauchen und gab sie ihm gleich darauf wieder zurück. Zur Strafe für diesen miesen Kalauer durfte sich Iwan am darauffolgenden Sonntag nicht die Lindenstraße ansehen, was ihn sehr betrüblich stimmte, denn er war ein großer Fan von Mutter Beimer.
So preschte der Ritter auf seinem treuen Roß in den Innenhof der Burg, wo ihn die Goblins fröhlich tanzend erwarteten.
"Wir waren alle brav!"
"Gib uns unsere Geschenke!"
"Bitte! Mach schon!"
Der Ritter der Heiligen Nagelschere grinste unter seinem giftgasgrünen Helm. Und er gab den Goblins ihre Geschenke: Erst nebelte er sie mit Goblin-Stop-Schlafspray ein, dann packte er sie alle in einen großen Sack und schleuderte sie in eine Paralleldimension.
"Frohe Weyhnachten!", schrie er glücklich.
"Ostern ist gerade erst vorbei!", brüllte das Killerhuhn von Wür- gemoor, der Sohn des 28,2559-köpfigen Grabenwurmes. "Ich billige diese frevlerische Tat in meiner Festung keineswegs, Ritter der Heiligen Nagelschere. Ich werde dich zur Rechenschaft ziehen."
"Killerhuhn von Würgemoor, du Sohn des 28,2559-köpfigen Grabenwurmes! Erst werde ich dich braten, aufessen und dann verdauen; danach werde ich deyne Burg erobern, mir alle Schätze einverleyben und dann den Weg über die Brücke nehmen, und nichts wird mich daran hindern!"
"Das Ausrufezeichen war ein klein wenig unpassend an dieser Stelle, Ritter. Warum setzt du ans Ende jedes Satzes mindestens einer dieser Satzzeichen, sogar ans Ende von Fragesätzen?"
Der Ritter der Heiligen Nagelschere wußte genau, warum er dies tat: Seine Familie war Opfer eines uralten Fluches, der von einem verrückten Deutschlehrer auf einen Urahn des Ritters geworfen worden war. Seitdem mußte jeder Nachfahre diese Urahns, auch an den unpassendsten Stellen, mindestens ein Ausrufezeichen pro Satz benutzen. Doch natürlich hatte der Ritter der Heiligen Nagelschere keinesfalls vor, dem Killerhuhn von Würgemoor dieses Geheimnis anzuvertrauen. So sagte er bloß: "Meyne Familie ist Opfer eines uralten Fluches, der von eynem verrückten Deutschlehrer auf eynen meyner Urahnen geworfen worden war. Seytdem muß jeder Nachfahre dieses Urahns, auch an den unpassendsten Stellen, mindestens eyn Ausrufezeychen pro Satz benutzen. Doch natürlich habe ich keynesfalls vor, dir dieses Geheimnis anzuvertrauen."
"Aha."
Durch das geschickte Sprachmanöver des Ritters war das Killerhuhn so verwirrt, das dieser es überraschend und heimtückisch erstechen konnte, ohne ihm eine Chance zur Gegenwehr zu geben. Fies, aber effektiv.
Als neuer Herrscher der Burg des Killerhuhns vom Würgemoor schaffte der Ritter der Heiligen Nagelschere das Keine- Passage- über- diese- Brücke- für- Ritter- heiliger- Fußpflegegerätschaften- auf- der- Suche- nach- dem- Heiligen- Kral- Gesetz (KPüdBfRhFadSndHG) ab und reiste zusammen mit Iwan über die bis dato für ihn versperrte Brücke.
Und sonst?
Sonst geschah wenig von Bedeutung für den Fortlauf der Geschichte.
Der Ritter der Heiligen Nagelschere befreite einige Noch- Jungfrauen, erschlug ein paar Drachen, bekämpfte erfolgreich eine Hand voll Schwarzmagier (er brach ihr alle Finger), brachte den Barbaren das Zeichen der Nagelschere (Was diese sehr erfreute, denn sich die Nägel mit Zweihändern zu schneiden erfordert viel Geschick. Die Prothesenhändler waren darüber weniger erfreut und appellierten vergeblich für einen Erhalt der Traditionen.) und erschlug 28,2558 unterdrückerische, despotische und gemeine Tyrannen, die ihm von den aus dem Volk gepreßten Steuern nichts abgeben wollten.
Also nur der übliche Alltagskram, den jeder Körperpflegeritter täglich hinter sich bringen muß.
Nebenbei verkaufte er noch ungefähr genau 28,2558 Eintausenderpackungen Nagelscheren; ein gutes Geschäft.


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Dominik D. Freydenbergers "Die Hundert Hühner Hammurabis"